"Darum ist Fotografie rassistisch!"
Vor kurzem saß ich zusammen mit einem Freund in einem meiner Lieblingspubs und hörte unfreiwillig ein Gespräch mit. Es war eines der Gespräche die so laut geführt wurden, dass man durch einen spontanen Verlust des Gehörs nicht mithören konnte.
Das Thema war kein neues. Es ging um Rassismus. Und das ist ok. Dieses Thema beschäftigt unsere Gesellschaft wieder so stark wie seit Jahren nicht mehr und zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Es begegnet einem auf der Arbeit, im Privatleben und sogar bei alltäglichen Erledigungen. Manchmal ist etwas wie Rassismus so tief in einer Gesellschaft verankert dass es einem nicht mal mehr auffällt, selbst wenn sie einem auf die Füße tritt. Und ich unterstelle hier nicht einmal immer böse Absichten. Doch Unwissenheit ist nicht immer das selbe wie Unschuld.
Doch zurück zum Pub: Ich bin mittlerweile mit meinem Kumpel wieder in ein anderes Gespräch vertieft. Der Dialog am Nachbartisch verschwimmt für mich so stark, dass er erst zu purem Geräusch wird und letztendendes nur noch säkulares Gewisper ist. In einer kurzen Gesprächspause zwischen meinem Kumpel und mir, höre ich dann den entscheiden Satz:“Und darum ist Fotografie rassistisch!“
Das hat natürlich meine Aufmerksamkeit erregt und ich konnte nicht anders als nachzufragen, was die Person nun genau meint.
Sie meinte, dass Kameras nicht dazu in der Lage wären, Menschen mit dunkler Hautfarbe zu fotografieren.
Das ist zwar sehr stark vereinfacht und nicht ganz richtig, dennoch war ich mir ziemlich sicher was sie meinte. Das Problem geht auf eine Zeit zurück, in der man tatsächlich keine große Rücksicht auf Menschen nahm, die nicht Shirley waren.
Und Shirley trägt mit „Schuld“ daran, dass in einem Interview aus dem Jahr 2017, aus diesem Thema ein gigantischer Ruck durch die Branche ging, der zwar viel bewegt, aber nahezu nichts geändert hat.
Hier kommt ein kleiner historischer Exkurs, in eine Zeit in welcher Kodak, ein ganzes technisches Verfahren auf gerade mal 30% der Menschheit abgeglichen hat.
Kodak war einer der vielen Pioniere wenn es um die (Weiter-)Entwicklung von Filmmaterial ging. Zu dem Zeitpunkt als AGFA, Ilford, Kodak oder erstrecht Fujifilm gegründet wurden, waren die ersten Schritte schon getan und wir befinden uns bereits in der Massenproduktion von Kameras und Filmmaterial.
Während es 1826 Joseph Nicéphore Niépce noch umtrieb, überhaupt irgendwas auf eine Asphaltplatte zu belichten und somit das erste bekannte Foto der Welt zu erstellen, konnten sich dann etwa 50 Jahre später, Hersteller mit den Detailfragen auseinander setzen und sowohl Kameras als auch Filmmaterial weiterentwickeln.
Und das bis hin zu den handlichen Geräten, die man mit in den Urlaub nehmen konnte. Nach und nach haben sich dann noch Standards hinzugefügt und ab den 40er Jahren kam es dann zu dem Moment, den unser Nachbartisch so aufbrausend zur Sprache brachte.
In den 40er Jahren ist der Farbfilm auf dem Vormarsch. Zwar wurde er schon früher entwickelt aber nun ist er Massentauglich und kann von jedem genutzt werden. Dennoch stellt die Entwicklung eines Farbfilms und der permanente Abgleich der Farben, Labore und Fotografen immer wieder vor Herausforderungen.
Stark vereinfacht: Bei einem Dreischichtfarbfilm besteht dieser, neben dem Trägermaterial, unter anderem auch aus lichtempfindlichen Silberbromid–Kristallen und Farbkuppler. Es gibt 3 Schichten die jeweils für unterschiedliche Lichtfarben sensibilisiert sind. Blau, Grün und Rot. So entsteht nach der Belichtung und der Entwicklung in einem Labor, ein Foto mit allen Farben des fotografierten Motivs.
Um mit mit dieser Technologie konstant die gleiche Qualität zu erhalten und so wenig Abweichungen wie möglich in den Farben zu haben, muss die Farbbalance stetig abgeglichen werden. Hierfür schickte Kodak die Shirley-Card in’s Rennen.
Die Shirley-Card
Es war einmal…
Es war einmal ein Mädchen namens Shirley. Shirley stand irgendwann in den 40ern mal Modell für Kodak. Ihr Gesicht wurde sehr schnell in der Welt der Fotografie und des Druckes bekannt, denn es wurde zusammen mit Farbrastern auf eine Karte gedruckt, welche ab sofort als Standard diente, um Farbwerte abzugleichen und Drucker zu kalibrieren.
Shirley ist eine junge weiße Frau, die Frisur und Kleidung angepasst an die Mode der Zeit. Im Laufe der Jahre gab es unterschiedliche Shirleys, immer mit einem Update in Sachen Frisur und Kleidung. Doch Shirley ist immer eine weiße junge Frau.
Somit wurden ab sofort alle Bilder und alle Drucke an eine weiße Frau abgeglichen. Das spannende daran: Gerade mal um die 30% der Menschheit sind weiß. Also hat man ca. 70% der Menschheit ausgeklammert und die Funktion bei Menschen mit abweichender Hautfarbe war nur eingeschränkt gegeben. Ab hier kommt der Rassismusvorwurf zum tragen, auf dem dieser Artikel aufbaut. Denn offensichtlich wurden hier systematisch schwarze Menschen vergessen bzw. ignoriert.
Die Hauptzielgruppe, für ihre Produkte, war damals die gut verdienende US-Amerikanische Mittelschicht. Und diese war in erster Linie weiß. Damit sah Kodak keine Notwendigkeit den Film in seiner Bandbreite so anzupassen, das rötlichere und braune Hauttöne besser abgedeckt werden. Doch dass sollte sich in den 80er Jahren ändern.
Der Umschwung
Zwischen den 70er und 80er Jahren gab es dann eine massive Veränderung bei der Shirley-Card. Die Person war immer noch weiblich, aber dieses mal sind unterschiedliche Hautfarben vertreten. Kodak gab nun die Multi-Racial-Shirley-Card raus, die als neuer Standard Diente um Farbabgleiche zu machen.
Jetzt könnte man denken, dass der Zeitgeist schuld daran hat und man einsah dass es nicht in Ordnung ist ganze Ethnien* auszuschließen und darum die Technik so anzupassen, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben können.
Doch der Hintergrund ist ein völlig anderer. Denn selbst Polaroid, welche in den 70er Jahren als junge, dynamische und rebellische Firma den Markt eroberte, wusste von dem Problem das Menschen mit dunkler Hautfarbe auf einem Foto quasi verschwanden, hat nichts am Verfahren oder der Entwicklung geändert. Stellte man eine weiße und eine schwarze Person nebeneinander, wurde die schwarze Person quasi unsichtbar. Polaroid löste das mit einem „Boost-Button“. Wurde dieser gedrückt, hat der Blitz um 42% überbelichtet. Damit wurden dunkle Töne, also auch die Haut schwarzer Menschen, besser sichtbar. Denn diese schluckte für gewöhnlich genau diese 42% mehr Licht.
Der Kontrast- und Farbumfang des Films blieb aber gleich und damit war das Problem nicht gelöst. Hellere Bereiche des Bildes waren nun überbelichtet.
Ein umdenken kam erst (hier ein wunderbarer WTF?!-Moment) als sich Hersteller und Werbetreibende beschwerten, dass dunkle Holztöne und unterschiedliche Schokoladen sich nicht gut auf den Bildern differenzieren ließen. Die sahen praktisch alle gleich aus und wenn man Milch und Schokolade auf einem Bild zeitgleich darstellen wollte, ging das nur mit getrennten Fotos die später zusammengefügt wurden. Ab dann fing man an das Verfahren anzupassen und den Filmen einen höheren Farb- und Kontrastumfang zu verpassen.
Bisher hat es also niemanden gestört, dass große Teile der Bevölkerung systematisch ausgeschlossen wurden. Aber wenn die Werbung für Möbel leidet, dann muss gehandelt werden! (Verrückt, oder?)
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Ganz im Gegensatz zur Filmentwicklung aus den 40ern, können wir hier bei der FOSAAR behaupten, dass wir versuchen auf möglichst viele Menschen Rücksicht zu nehmen. Daher ist bei uns jede:r willkommen!
In unserer großen Bandbreite an Workshops finden sich auf vielseitige Themen, mit denen du in die Fotografie eintauchen und dein Gebiet verbessern kannst!
Hier findest du unsere aktuelle Liste an Präsenzworkshops und die Termine für diesen Sommer:
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Die Konsequenz
Als dann das Verfahren angepasst war, wurden dann natürlich auch die Shirley-Card angepasst. Später wurde alles dann so verkauft, dass man selbstverständlich daran dachte, nun auch Rücksicht auf alle Menschen nehmen zu wollen und dementsprechend findet man nun Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe auf den Karten.
Dann kam das digitale Zeitalter und man sollte meinen, dass Problem sei damit gelöst gewesen. Naja, nicht ganz. Eine sehr lange Zeit blieb die Shirley-Problematik noch bestehen. Denn wenn eine bestimmtes Verfahren sich mal etabliert hat, bleibt es sehr lange hängen und man wird es nur schwer wieder los. Bis in die frühen 2010er – 2020er hat es sich gehalten, dass helle Hauttöne der Standard sind und Autofokussysteme sich daran orientieren. Erst um 2019 – 2020 kamen Kameras auf den Markt, die diese Problematik nicht mehr hatten.
Ich meine, es ist gut dass das Problem erkannt wurde und man sich darum heute fast keine Gedanken mehr machen muss. Außer man ist Google und geht erst jetzt ein Problem an, dass 2015 für mehr als nur einen Aufreger gesorgt hat: Denn Google Photos hat schwarze Menschen stets als Gorillas identifiziert…
Du merkst also, so richtige Konsequenzen haben die Hersteller bis heute nicht gezogen und die positive Entwicklung innerhalb unserer Gesellschaft ging bisher nur schleppend voran.
Was bedeutet dies für uns als Fotograf:innen?
Könnte man nun daraus schließen, dass die Nutzer:innen dieser Technologie den Rassismus einfach in Kauf nehmen zu Gunsten des eigenen Vergnügens oder der Karriere als Künstler:in?
Natürlich nicht!
Die meisten wissen garnicht worauf die heute Technik aufbaut, kennen die Geschichte nicht und selbst wenn, dann dürften wir rund 80% unserer heutigen Technik nicht nutzen, da sie oft auf Krieg, Tot, Gier und Diskriminierung aufbaut. An dieser Stelle die moralische Keule auszupacken wäre das scheinheiligste was man machen könnte. Denn das Geräte mit dem du diesen Artikel gerade liest, basiert mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seltenen Erden und anderen Materialien, für die mehr Kinder gestorben als du es dir vorstellen kannst.
Und wenn wir über versteckten Rassismus sprechen, dann schalte Instagram und LinkedIn ab. Denn die am besten laufenden Accounts sind die allseits beliebten Travel- und Business-Shirleys: Weiß, Wohlhabender Mittelstand und der Mode der Zeit angepasst. (Autsch!)
Aber was wir tun können, ist bei der Weiter- und Neuentwicklung von Technik, nicht die selben Fehler zu machen wie unsere Vorgänger. Wir sind nicht dafür verantwortlich was geschah, aber mitverantwortlich wenn es so weiterläuft. Egal ob wir uns aktiv daran beteiligen oder schweigen, wenn wir eigentlich etwas hätten sagen müssen.
Cheers,
Andreas
* Ich bin mir an dieser Stelle nicht sicher ob es sich hier um den korrekten Begriff handelt, da er scheinbar unterschiedlich definiert wird.